Fluchtafeln (mit Verwünschungen)

Die Fluchtafel oder Defixion (griechisch καταδεσμός katadesmós oder κατάδεσις katádesis „Bindung, Bindezauber“, lateinisch defixio von defigere[1] „festheften, durchbohren“, im literarischen Sprachgebrauch auch devotio „Gebet, Verwünschung“) stellt eine in der Antike weit verbreitete Form des Schadenszaubers dar.

Fluchtafeln sind für gewöhnlich mit Inschriften versehene, dünne Bleistücke, die dem Zweck dienen sollten, Personen oder andere Lebewesen mit magischen Mitteln oder mit Hilfe einer Gottheit in ihrem Handeln zu beeinflussen, an ihren Tätigkeiten zu hindern und sie zu „binden“ oder ihnen auf bestimmte Zeit geistig beziehungsweise körperlich zu schaden, seltener sie sogar zu töten. Das Anliegen wurde entweder Gottheiten der Unterwelt anvertraut, welche den Fluch vollziehen sollten, oder galt bereits allein durch die magisch-rituelle Behandlung der Tafel als umgesetzt. Dazu wurden die beschrifteten Lamellen oft zusätzlich eingerollt, gefaltet oder mit Nägeln durchbohrt. Verletzungen des Mediums sollten im Sinne eines Analogiezaubers auf die verwünschte Person übertragen werden.

Die meisten Exemplare wurden an besonderen Orten wie Gräbern, Tempeln oder Teichen vergraben. So verborgen sollten die Botschaften allein die angerufenen Gottheiten erreichen. Fluchtafeln wurden häufig bei Rechtsstreitigkeiten, aber auch gegen Konkurrenten bei Wagenrennen, im Theater oder im Wirtschaftsleben verwendet. Ebenso waren erotische Rivalität, Eifersucht oder ein erotisch motivierter Rachewunsch Anlass der Verwünschungen; einige Inschriften sollten hingegen den gewünschten Partner anziehen.


Entwicklung und Verbreitung

Es gibt ungefähr 1600 archäologischen Funde, verteilt über große Teile der antiken Welt, davon etwa 600 aus dem Gebiet des heutigen Griechenland. In Kombination mit anderen Quellen ergibt sich aus den Funden ein vielfältiges Bild dieser Praxis.

Die frühesten Fluchtafeln stammen aus der griechischen Kolonie Selinunt auf Sizilien und werden in den Zeitraum von Ende des 6. Jahrhunderts bis zum frühen 5. Jahrhundert v. Chr. datiert. Insbesondere aus dem 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. sind vor allem aus Attika zahlreiche Täfelchen bekannt. Wenig später entstanden viele in Olbia am Schwarzen Meer. Dabei ist umstritten, ob sich die Fluchtafeln nur vom sizilischen und attischen Raum ausgehend verbreiteten oder ob sie in anderen Regionen aus dortigen älteren Formen verbaler magischer Praktiken entstanden. Möglich ist auch, dass außerhalb Siziliens und Attikas ältere Fluchtafeln bisher lediglich nicht archäologisch nachgewiesen sind.

Etwa ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. und besonders in der Spätantike wurden Fluchtafeln im Römischen Reich sehr beliebt. Ältere griechischsprachige Funde aus Italien stammen aus griechischen Kolonien in Unteritalien und Sizilien. Erst im 7. oder 8. Jahrhundert n. Chr. ging die archäologisch nachweisbare Anwendung zurück. Vereinzelt sind auch noch später christliche oder jüdische Flüche zu finden. Sie lassen sich nur schwer von den „heidnischen“ Verwünschungen unterscheiden, die damals selbst häufig jüdische oder christliche Elemente und Namen in den Zauber einbezogen.

Mit 250 Exemplaren stammt ein großer Teil der bisher gefundenen römischen Fluchtafeln aus der Provinz Britannien. Diese Funde konzentrieren sich mit über 100 Täfelchen auf die Tempelanlage des Merkur im heutigen Uley sowie auf das Quellheiligtum der Sulis Minerva in Bath. Eine ungewöhnlich hohe Anzahl von ihnen richtet sich in Form von „Gebeten um Gerechtigkeit“ gegen Diebe.[5] Auch in Nordafrika war diese Praxis des Schadenszaubers verbreitet. In Karthago und dem antiken Hadrumetum wurden vor allem Fluchtäfelchen konkurrierender Parteien bei Zirkusspielen oder Kämpfen in Amphitheatern gefunden. Aus Ägypten sind nur wenige Fluchtafeln erhalten; die bekannten Flüche wenden sich häufig zugleich an Götter und Dämonen unterschiedlicher Kulte.

In der Forschung ist umstritten, in welchen Kreisen man Schadenszauber anwandte. Einige Wissenschaftler nehmen an, dass diese Form von Magie nicht auf sozial benachteiligte und ungebildete Schichten beschränkt war, denn auf Funden aus Griechenland sind häufig auch Namen bekannter Persönlichkeiten verzeichnet. Andere meinen, dass Fluchtafeln ausschließlich in den niederen Sozialschichten wie unter Sklaven gebräuchlich waren.

Während es kaum Hinweise darauf gibt, dass die Verwendung von Fluchtafeln im antiken Griechenland unter Strafe stand,[9] war sie – trotz ihrer Popularität – im Römischen Reich verboten. Bereits das Zwölftafelgesetz untersagte in der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. generell Praktiken des Schadenszaubers. Vor allem während der Kaiserzeit wurde in bestimmten, meist eher kurzen Perioden jede Form von Magie strafrechtlich geahndet. Ein solches Vorgehen diente oft politischen oder ideologischen Zwecken wie etwa der Ablenkung von politischen Spannungen. In manchen Teilen des Reiches war Zauberei dennoch ungestraft weit verbreitet. In Ägypten etwa standen Zauberer in der Tradition der ägyptischen Priester und versahen mancherorts auch Tempeldienst. Sulla richtete unter den neu installierten Gerichtshöfen ein Gericht für Kapitalverbrechen und Magie ein. Unter Augustus wurden Papyri magischen Inhalts im Jahr 13 v. Chr. verbrannt; Claudius und Nero ließen die Anwendung von Magie verfolgen. Laut Iulius Paulus stand auch im 3. Jahrhundert n. Chr. auf Verwünschung durch Defixion im Fall der Überführung die Todesstrafe, wobei Tötung durch Tiere erwähnt wird. Der tatsächliche Vollzug der Todesstrafe ist jedoch nur selten belegt; Ammianus Marcellinus beschreibt in seinen Res gestae den Fall eines Wagenlenkers, der zum Tod verurteilt wurde, weil er seinen Sohn Magie erlernen ließ.

Quelle (auszugsweise): Wikipedia, 26.06.2008