Seelenwanderung / Reinkarnation

Der Begriff Reinkarnation (lateinisch Wiederfleischwerdung oder Wiederverkörperung), auch Palingenese (altgriechisch, aus πάλιν, pálin „wiederum“, „abermals“ und γένεσις, génesis „Erzeugung“, „Geburt“) bezeichnet Vorstellungen der Art, dass eine (zumeist nur menschliche) Seele oder fortbestehende mentale Prozesse (so oft im Buddhismus verstanden) nach dem Tod, der "Exkarnation" sich erneut in anderen empfindenden Wesen manifestieren. Vergleichbare Konzepte werden auch als beispielsweise Metempsychose, Transmigration, Seelenwanderung oder Wiedergeburt bezeichnet. "Außerkörperliche Erfahrungen" werden oft in Zusammenhang mit dem Begriff Reinkarnation gebracht. In einigen, aber keineswegs in allen Reinkarnationslehren ist auch die Karmalehre integriert.

Die Vorstellung eines neuen Lebens nach dem Tod ist (in Verbindung mit animistischen und/oder gnostischen Vorstellungen) in vielen Kulturen und religiösen Lehren verbreitet: im Griechenland der Antike, im römischen Kaiserkult, im Manichäismus und weiteren gnostischen Strömungen, in der jüdischen Kabbala, in der Mystik des Islam und in der modernen Esoterik. Eine systematische Reflexion erfuhr die Reinkarnationslehre vor allem aber in den östlichen Religionen Hinduismus, Jainismus und Buddhismus, in oft verfremdeter Art und Weise in New-Age-Religionen sowie in der europäischen Tradition im Wesentlichen in der Anthroposophie von Rudolf Steiner.

Hinduismus

Im Hinduismus entwickelte sich die Reinkarnationslehre (Sanskrit: punarbhava = Wieder-Werden) nach dem Ende der vedischen Zeit und mit dem Aufkommen der Literatur der Upanishaden (ab 700 v. Chr.). Die klassische Ausformulierung der hinduistischen Reinkarnationslehre vom Kreislauf der Wiedergeburten (Samsara) ist in der Bhagavadgita enthalten.

Nach hinduistischer Vorstellung ist der Mensch eine unsterbliche Seele (Atman), die sich nach dem Tode des Körpers in einem neu in Erscheinung tretenden Wesen – dies können auch Tiere sein – wieder verkörpert. Die Qualität der Wiedergeburt oder Seelenwanderung ist abhängig von den in der/den Vorexistenz/en gewirkten Taten (Karma). »Wie einer handelt, wie einer wandelt, ein solcher wird er. Aus guter Handlung entsteht Gutes, aus schlechter Handlung entsteht Schlechtes«, lehren die Upanishaden. Karma (die Tat) ist verknüpft mit der Vorstellung an eine sittliche Weltordnung (Dharma), wodurch alle Handlungen gemäß dem Prinzip von Ursache und Wirkung die Voraussetzung für die künftige Wiedergeburt darstellen. Ein jedes Wesen besteht aufgrund seines in früheren Daseinsformen angesammelten Tatenpotenzials, welches also das Gesamtergebnis einer jeden Existenz bewirkt. Folglich ist der Tod nicht der Abschluss des Lebens, sondern lediglich der Übergang zu einer neuen Daseinsform. Erhalten bleibt der durch den Atman (ewige Seele) begründete, ewige und unveränderliche Wesenskern des Menschen. Der Jiva (die individuelle Seele) – das ist der Atman (ewige Seele) zusammen mit Vernunft, Gefühlen und Wünschen, der sich stets aufs neue manifestiert. Wohin der Jiva nach dem Tod des Körpers geht, darüber bieten hinduistische Schriften keine eindeutigen Berichte an. Aber wie in allen Kulturen gibt es auch bei den Hindus den Begriff von Himmel und Hölle. Die Schriften schildern verschiedene Himmel, wo der Jiva mit gutem Karma sich eine Weile in überirdischen Freuden aufhalten kann; die Mythologie malt ebenso Bilder aus von schrecklichen Höllen, in der er solange großes Leid erfährt, bis sein schlechtes Karma verbraucht ist. Doch der Aufenthalt ist in beiden Fällen nicht ewig: Nach einiger Zeit kehrt das Individuum auf die Erde zurück, um wieder und wieder geboren zu werden – bis zur endgültigen Erlösung, Moksha. Dieser Kreislauf der Wiedergeburten gilt als Naturgesetz, Kategorien wie Strafe oder Belohnung gelten hier nicht.

Sri Aurobindo widerspricht in seinen Aufsätzen zum Problem der Wiedergeburt der Vorstellung, dass die selben Formationen der Natur, die den Leib der letzten Geburt bewohnten, in der Reinkarnation wiederkehren. Er vertritt den Standpunkt, dass der Purusha bei jeder Rückkehr zur Erde eine neue Formation, ein neues personales Quantum aufbaut, wie es für eine neue Erfahrung und für ein neues Wachstum seines Seins geeignet ist. Die wesentliche Form der vergangenen Persönlichkeit mag dabei ein Element unter vielen bleiben und zu der neuen Formation hinzusteuern, was von ihr gebraucht werden mag.

Während einige hinduistische Richtungen das Gesetz des Karma, wonach das Individuum ausschließlich selbst für seine Erlösung verantwortlich ist, als unerbittlich ansehen, vertrauen andere Hindus auf Gottes Gnade, die Karma vernichten und das Individuum erretten kann (vgl. Bhakti). Diese göttliche Hilfe ist ein Hauptthema in hinduistischen Gebeten.

Das Ziel des Hindu besteht darin, den ewigen und mit ständigen Leiderfahrungen verbundenen Kreislauf von Werden und Vergehen (Samsara) zu überwinden. Die Tradition kennt drei klassische Wege durch die Erlösung, genannt (Mukti oder Moksha), erlangt werden kann und damit verbunden den Austritt aus dem Geburtenkreislauf Samsara: Dazu gehören der Weg des Wissens Jnana Yoga, der Weg der Tat Karma Yoga, der Weg der Gottesliebe Bhakti Yoga. Viele Denker (etwa Swami Vivekananda) zählen noch einen vierten Weg dazu, Raja Yoga, den „Königsyoga“ der mit Yogaübungen und Meditation verbunden ist.

Buddhismus

In der Frage der Reinkarnation geht der Buddhismus (entstanden etwa 500 v.Chr.) grundlegend andere Wege als der Hinduismus. In Ablehnung einer geschaffenen, individuellen Seele (Anatta-Lehre) kennt der Buddhismus keinen Übergang einer seelischen Substanz von der einen auf die andere Existenz, keine Transmigration, keine Wanderung der Seele. Wiedergeburt wird verstanden als eine Kontinuität der Geistesprozesse, als Fortsetzung der beim Ableben eines Individuums noch nicht erloschenen mentalen Kräfte, die sich in einer (oder mehreren) neu in Erscheinung tretenden Existenz(en) aufs Neue reaktualisieren.

Im Buddhismus ist Karma die den Wesen innewohnende Fähigkeit zu gezieltem, absichtsvollem Handeln ("Die Absicht nenne ich Karma, ihr Mönche", Buddha), aber auch das Prinzip von Ursache und Wirkung. Auf individueller Ebene bedeutet Karma Tat, Handeln, Wirken, und dessen Folgen in diesem und folgenden Leben. Jede positive oder negative Erfahrung ist durch eine frühere positive oder negative Tat - als körperlicher, sprachlicher und gedanklicher Ausdruck - bedingt und führt ihrerseits wieder zu positiven oder negativen Auswirkungen, verändert somit das Karma. Diese Auswirkungen sind nicht zufällig, unterliegen aber auch keinem höheren (göttlichen) Diktat wie etwa Fügung, Vergeltung usw.

Die Ursache einer Wiedergeburt liegt nach buddhistischer Auffassung im Begehren nach Sinnesbefriedigung, im Trieb nach Sein und Verwirklichung. Wiederwerden ist deshalb so lange gegeben, wie verursachende, nach Realisierung drängende Triebkräfte vorhanden sind. Da dieses Begehren im Buddhismus untrennbar verbunden ist mit Leiden, versucht man, diesen leidvollen Daseinskreislauf (samsâra) zu durchbrechen, indem man das Begehren überwindet. Dazu führt der "Achtfache Pfad". Ziel ist der Zustand des Nirvana, das Ende allen Leidens und der Abschluss der Wiedergeburten.

Im tibetischen Buddhismus hat sich die Tradition der bewussten Wiedergeburt entwickelt. Ein Erleuchteter, der ja eigentlich das Rad der Wiedergeburten überwunden hat, kann nach dieser Auffassung absichlich als sogenannter Tulku wiederkehren, um den Menschen auf dem achtfachen Pfad zu helfen. Deshalb wird einige Jahre nach dem Tod eines Lama mit einer Reihe von tantrischen Praktiken nach einem Kind gesucht, in dem dieser wieder erscheinen soll. Beispielsweise gilt der momentane Dalai Lama als die vierzehnte Reinkarnation des Bodhisattva Avalokiteshvara.

Antikes Griechenland und Rom

Die am Anfang der klassischen Antike stehenden, um 800 v. Chr. verfassten Epen von Homer -- die Ilias und die Odyssee -- kennen noch keine Reinkarnationslehre. Auch Thukydides oder Brasidas kannten keine Reinkarnationslehre.

Bekannte Vertreter der Reinkarnationstheorie innerhalb der griechischen Philosophie waren Pythagoras (um 600 v.Chr.), Empedokles und Platon (beide 5. Jh. v.Chr.). Sie alle lehrten, dass die unsterbliche Seele sich reinkarnieren müsse, sei es aufgrund einer inneren Notwendigkeit oder zum Zwecke ihrer moralischen Läuterung in einer neuen Daseinsform, die auch die Tierwelt oder die Pflanzenwelt umfasst. Bei Platon spielte jedoch nur das moralische Kriterium eine Rolle. Seiner Auffassung nach wird man allein aufgrund früheren Verhaltens wiedergeboren.

In den nachfolgenden Strömungen des Neuplatonismus und des Neupythagoreismus lebte der Reinkarnationsgedanke weiter, doch schieden sich die Geister an der Frage, ob die Einkörperung in Tiere wörtlich (Plotin) oder metaphorisch (Porphyrius) zu verstehen sei, dieweil das von Platon angeführte moralische Motiv vor allem von Plutarch und dem Römer Vergil vertreten wurde.

Judentum

Der Begriff der Reinkarnation (hebräisch: גִלְגּוּל נְשָמוֹת = Gilgul Neschamot, kurz: Gilgul) taucht in der hebräischen Bibel (Tanach) nicht auf, wird aber an mehreren Stellen im Talmud durchaus kontrovers diskutiert und kann sogar als ein grundlegendes Element der Kabbala betrachtet werden.

Die Idee der Reinkarnation taucht vor allem in der jüdischen Mystik auf, so z.B. in dem einflussreichen Sefer ha-Bahir (“Buch der Erleuchtung”), das gemeinhin als das älteste Werk der jüdischen Mystik gilt und auf Rabbi Nehunja ben ha-Kana (einen Zeitgenossen von Rabbi Jochanan ben Sakkai im 1. Jh.n.Chr.) zurückgehen soll, wahrscheinlich aber erst von Rabbi Jizchak Saggi Nehor ("Isaak dem Blinden") Anfang des 12. Jh.n.Chr. verfasst wurde. Nach der Veröffentlichung des weitaus bekannteren Sefer ha-Sohar ("Buch des Glanzes") im späten 13. Jh.n.Chr. wurde die Reinkarnationslehre für einige Zeit sogar Allgemeingut im (osteuropäischen) Judentum.

Ein bezüglich der Wiedergeburt geradezu klassisches Werk der Kabbala ist Schaar ha-Gilgulim (“Tor der Reinkarnationen”) von Rabbi Isaak Luria (1534-1572), genannt Adoneinu Rabbeinu Jizchak (Akrostichon: ha-ARI = "der Löwe"), das die komplexen Gesetzmäßigkeiten der Wiedergeburt von 5 verschiedenen Seelenteilen beschreibt und außerdem die lebenslange Inkarnation (Gilgul) von der vorübergehenden Inkorporation einer fremden guten Seele (Ibbur) oder einer fremden bösen Seele (Dibbuk) abgrenzt. In diesem Werk bezieht sich Luria auch ausdrücklich auf bestimmte Textpassagen im Tanach.

Während viele (vor allem konservative und liberale) Juden heute die Idee der Reinkarnation nicht als Element ihres Glaubens ansehen, ist die Vorstellung der Wiedergeburt bei orthodoxen Juden (besonders bei den Chassidim) weit verbreitet. In manchen chassidischen Gebetbüchern (Siddur) findet sich beispielsweise ein Gebet, das um Vergebung für Sünden in früheren Inkarnationen bittet.(mehraba)

Diese geistige Nähe der Chassidim zum Konzept des Gilgul kann bereits auf den Begründer der chassidischen Bewegung Rabbi Israel ben Elieser (1698-1760), genannt Baal Schem Tow (Akronym: BeSchT), zurückgeführt werden. Martin Buber hat in seinen Werken Die Legenden des Baalschem sowie Die Erzählungen der Chassidim mehrere Geschichten von Baal Schem Tow gesammelt, in denen dieser ganz konkrete Fälle von Reinkarnation darlegt und erläutert.

Islam

Die Situation des Reinkarnationsgedankens innerhalb des Islam hat viele Gemeinsamkeiten mit derjenigen innerhalb der anderen beiden abrahamitischen Religionen, d.h. Christentum und Judentum. Auch hier lehnen die meisten Vertreter der konfessionellen Hauptströmungen (im Islam Sunniten und Schiiten) das Konzept der Reinkarnation ab. Tatsächlich ist die Vorstellung einer wiederholten Inkarnation (griech. ενσαρκωσις) der individuellen Seele schwerlich mit dem traditionellen Verständnis des Glaubens an die persönliche Auferstehung (griech. αναστασις) am Tag des jüngsten Gerichts (Harmagedon am "Har-Megiddo") vereinbar und kann insofern als Apostasie oder Häresie angesehen werden.

Ganz ähnlich den Verhältnissen bei Christen und Juden sollten aber auch hier die Besonderheiten der mystischen Bewegungen nicht übersehen werden. In der islamischen Mystik (Sufismus oder Tasawwuf) vertreten viele esoterische Orden (Tariqas) eindeutig Positionen, die das Konzept der Wiedergeburt problemlos in ihr spirituelles Weltbild integrieren. Hierbei beziehen sich die Sufi-Meister (oder Derwische) oftmals auf den 28. Vers der 2. Sure (al-Baqara = „die Kuh“) des Quran:

"Wie könnt ihr Gott verleugnen, wo ihr tot wart und Er euch lebendig gemacht hat? Dann lässt Er euch sterben und macht euch wieder lebendig, und dann werdet ihr zu Ihm zurückgebracht.“ (Quran 2:28, Übersetzung von Adel Theodor Khoury).

Die islamischen Theologen der konfessionellen Hauptstömungen widersprechen hingegen dieser Interpretation des Verses und argumentieren, dass es sich im ersten Falle (“wo ihr tot wart”) um eine Beschreibung geistiger Leblosigkeit im gegenwärtigen Leben und im zweiten Falle („macht euch wieder lebendig“) um die Wiederauferstehung am Tage des jüngsten Gerichts handelt. Dieser innerislamische Disput hat verblüffende Ähnlichkeiten mit den unterschiedlichen innerchristlichen Lesarten der Auferweckung der Toten (z.B. die Lazarus-Episode im Johannesevangelium 11:1-45). Als weiterer Beleg für eine angenommene islamimmanente Reinkarnationslehre wird von der Seite islamischer Mystiker bisweilen der 27. Vers der 3.Sure (Āl Imrān = „die Sippe Imrans“) des Quran herangezogen:

„Du lässt die Nacht in den Tag übergehen, und Du lässt den Tag in die Nacht übergehen. Du bringst das Lebendige aus dem Toten, und Du bringst das Tote aus dem Lebendigen hervor, und Du bescherst Unterhalt, wem Du willst, ohne (viel) zu rechnen.“ (Quran 3:27, Übersetzung von Adel Theodor Khoury).

Die mystische Interpretation der Sufis zeigt sich darüber hinaus einigermaßen unverschleiert in der (insbesondere persischen) klassischen Literatur der islamischen Welt. So findet sich beispielsweise im Buch Mathnawi (das auch als der "persische Quran" bezeichnet wird) des persischen Dichters und Sufi-Meisters Dschalal ad-Din Rumi (1207-1273), genannt Moulana ("unser Meister"), auf dessen Lehren der Mevlevi-Derwischorden zurückreicht, folgendes Gedicht:

„Ich starb als Mineral und wurde Pflanze,/ Ich starb als Pflanze und wurde Tier,/ Ich starb als Tier und wurde Mensch./ Warum soll ich mich fürchten?/ Wann wurd ich weniger durch einen Tod?/ Noch einmal werd ich sterben als ein Mensch,/ Nur um dann aufzusteigen mit der Engel Segen./ Doch auch vom Engelsdasein muss ich weitergehen…“ (Auszug aus dem Mathnawi von Rumi).

(Spätere Sufimeister interpretieren dieses Gedicht jedoch auch anders, nämlich dass Rumi damit das spirituelle Reifen der menschlichen Seele von der mineralischen bis hin zur göttlichen Seele innerhalb eines Menschenlebens beschreibt.)

Der Reinkarnationsgedanke wurde von islamischen Denkern aber auch dazu genutzt, um die ansonsten unverständliche quranische Identifikation von Maryam (Maria), der Mutter des Propheten Isa (Jesus), mit der alttestamentlichen Prophetin Miriam (Mirjam), der Schwester von Aaron und Musa (Moses), die mehr als 1.000 Jahre früher als jene gelebt hat, zu erklären.

Darüber hinaus spielt die Reinkarnationslehre noch bei der kleinen Minderheit der Drusen eine zentrale Rolle. Wegen ihrer sehr speziellen Lehren ist es jedoch umstritten, ob diese überhaupt noch als Muslime angesehen werden können. Nach der Lehre der Drusen gibt es eine Reinkarnation von Menschen nur wiederum als Menschen, nicht als Tiere.

Frühes Christentum

Im frühen Christentum finden sich mehrere Theologen, die eine Präexistenz der Seele vertreten. Sie wurden allesamt als Häretiker verurteilt. Zwischen Präexistenz und Reinkarnation ist jedoch streng zu unterscheiden: die Präexistenzlehre hält an der Zusammenghörigkeit einer individuellen Seele und eines individuellen Körpers fest, während die Reinkarnationslehre die sukzessive Wiedereinkörperung derselben Seele in immer neue Körper annimmt. Die Bibelstelle Matthäus 11,14 "Und wenn ihr es annehmen wollt: er ist Elia, der kommen soll." bezieht sich auf Johannes der Täufer. Sie kann als Hinweis darauf interpretiert werden, dass sich der Prophet Elia als Johannes der Täufer reinkarnierte, wogegen aber die einleitenden Worte Jesu "wenn ihr es annehmen wollt" sprechen. Lukas 1,17 ("Und er wird vor ihm hergehen im Geist und in der Kraft Elias") sieht in Johannes den geistlichen Nachfolger Elias.

Häresie des Priscillian

Bereits auf dem Konzil von Braga (561–563) (in Portugal) wurde die Präexistenzlehre des Theologen Priscillians mit folgenden Worten verurteilt: Si quis animas humanas dicit prius in caelesti habitatione peccasse et pro hoc in corpora humana in terra deiectas, sicut Priscillianus dixit, anathema sit. (Übersetzung: Wenn wer sagt, die menschlichen Seelen hätten früher in ihrer himmlischen Wohnung gesündigt und seien dafür auf der Erde in menschliche Körper geworfen worden, wie Priscillian sagte, so sei er mit dem Anathem belegt (Anathem = Ausschluss aus der Kirche und damit dem Himmel.) Diese Verurteilung bezieht sich lediglich auf die Präexistenzlehre.

Häresie des Origenes

Der Glaube an das Fortleben und die Auferstehung der Seele ist fest mit der Vorstellung der Einzigkeit des Individuums, dessen Identität in der Zusammengehörigkeit von einem bestimmten Körper mit einer bestimmten Seele gründet, verbunden, die auch Grundlage der Vorstellung von der Präexistenz der Seele einiger alexandrinischer Theologen (Origenes, Pierios) ist. Die Lehre des Origenes wurde von der Synode von Konstantinopel (543) verurteilt. Dabei wurde festgelegt: Si quis dicit aut sentit, praeexistere hominum animas […] demissasque esse in corpora supplicii causa: anathema sit. (Übersetzung: Wer sagt oder denkt, die Seelen der Menschen hätten präexistiert […] und seien zur Strafe in die Körper (hinab)geschickt worden, der sei ein Verfluchter., vgl. Anathema). Diese Entscheidung wurde von Papst Vigilius bestätigt und auf dem 5. ökumenischen Konzil von Konstantinopel (553) auf Betreiben Kaiser Justinians erneut bekräftigt. Dies betrifft aber, wie aus der Formulierung hervorgeht, nicht eine (von Origenes niemals vertretene) Lehre einer Reinkarnation, sondern die Lehre von der Präexistenz der Seele, d. h. von der Existenz der Seele eines Individuums von Anfang an vor dessen irdischer Existenz. Origenes hat die Lehre von der Reinkarnation (Transmigration) in einem Kommentar zum Evangelium des Matthäus sogar explizit bestritten. (siehe: [1] )

Neuzeitliches Europa

Im Zeitalter der Aufklärung gelangte die Idee der Reinkarnation durch Gotthold Ephraim Lessings Schrift Die Erziehung des Menschengeschlechts (1780) in die öffentliche Diskussion. Darin bezog Lessing selbst keine klare Position, sondern stellte Fragen wie: „Warum sollte ich nicht so oft wiederkommen, als ich neue Kenntnisse, neue Fertigkeiten zu erlangen geschickt bin?“ oder: „Ist diese Idee denn so lächerlich, weil sie die älteste ist?“ Diese Äußerungen Lessings wurden dann allerdings vielfach als Bekenntnis zur Reinkarnation interpretiert.[2]

Moderne Esoterik

In der Theosophie wurde zuerst von Helena Petrovna Blavatsky die Reinkarnation der östlichen Religionen mit dem Konzept der Evolution kombiniert - die Einzelseele entwickelt sich von Leben zu Leben weiter und steigt zu immer höheren Seinszuständen auf, wobei es, im Gegensatz zum Hinduismus und Buddhismus, keine Rückschritte sondern höchstens Stillstand gibt. Ebenfalls im Gegensatz zu den traditionellen östlichen Religionen ist das Ziel der Weiterentwicklung gewöhnlich eine Vervollkommnung des Individuums, das ein Individuum bleibt und nicht im Brahma oder Nirvana aufgeht.

Dieses Konzept wurde, mit leichten Abwandlungen von neueren Richtungen der Esoterik übernommen, z.B von den Rosenkreuzern, Eckankar, im New Age, ebenso wie von einigen (nicht allen) Vertretern von Wicca und Okkultismus.

Die Anthroposophie entwickelte parallel dazu Reinkarnationsanschauungen, die nicht, wie manchmal behauptet, von der damaligen Theosophie einfach übernommen wurden, sondern aus Rudolf Steiners eigenen Beobachtungen und Forschungen kommen. Sie unterscheiden sich in wesentlichen Punkten von der Anschauung Blavatskys.

Die Anthroposophie Rudolf Steiners erkennt nach seiner geisteswissenschaftlich-okkulten Forschung das Prinzip der Wiederverkörperung des Geistes als richtig an: Durch das Opfer des Jesus, die Macht der Kraft Christi soll der Mensch durch viele Leben hindurch zur Vollkommenheit aufsteigen können. Steiner erläutert mehrfach Anfang und Ende der Inkarnationsreihe, Auswirkungen früherer und Vorbereitungen späterer Leben in einem gerade laufenden, Ähnlichkeiten im Äußeren des Menschen durch mehrere Inkarnationen hindurch, die Kombination des von den Eltern Ererbten mit eigenen inneren Formungskräften ("Wesensgliedern") und die Zustände, in denen sich die Seele zwischen dem Tod und einer neuen Geburt befinde. Durch seine Geistanschauungen glaubt Steiner gar Hinweise erhalten zu haben, wer als wer wiedergeboren wurde, wobei sich vor allem eine Bewegung vom arabischen Kulturkreis in den europäischen herauskristallisiert.

In der Esoterik und im New Age wird das Konzept der Reinkarnation von vielen Richtungen vertreten, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen. So entwickelte Thorwald Dethlefsen die Münchner Schule der Reinkarnationstherapie. Die Schule von Alice Bailey beschreibt sogar den genauen esoterischen Vorgang von Tod und Wiedergeburt.

In bestimmten New-Age-Kreisen wird behauptet, dass das frühe Christentum an Reinkarnation geglaubt habe. Die Argumente, die aufgeführt werden, sind spezifische Auslegungen von Bibelstellen (Mt 11,14, Mt 17,12f, Joh 9,1ff.). Es wird vermutet, dass diverse Stellen der Evangelien, welche die Lehre der Reinkarnation vertreten, auf dem Konzil von Nicäa im Jahre 325 n. Christus unter dem Vorsitz des Kaisers Konstantin des I. entfernt wurden, um die Macht der Kirche zu stärken.[3] Es wird behauptet, jetzt neu wiederaufgefundene Evangelien (z.B. Teile des Thomasevangeliums) stärkten diese Theorie. Der Spiritismus glaubt an eine von Gott einfach und unwissend erschaffene Seele, die durch mehrfach wiederholte Inkarnation auf der Erde und anderen Planeten die Möglichkeit erhält, sich zu vervollkommnen.

Naturwissenschaftlich orientierte Reinkarnationslehren

Diese Art von Reinkarnationslehren können weder als religiös noch esoterisch bezeichnet werden. Sie gehen von der Theorie der ewigen Wiederkehr aus, wie wir sie in der Philosophie bei Friedrich Nietzsche oder in der Physik bei Henri Poincaré finden, haben also philosophische und naturwissenschaftliche Grundlagen.

Heutige Lehren dieser Art versuchen mit Erkenntnissen der Naturwissenschaft in Einklang zu stehen und leiten eine objektive Notwendigkeit von Reinkarnation aus physikalischen und mathematischen Gesetzmäßigkeiten ab, vor allem aus der Begrenztheit der Kombinationsmöglichkeiten materieller Systeme sowie der Austauschbarkeit identischer materieller Systeme (berücksichtigen dabei das Verhältnis von Relevanz und Irrelevanz bzw. die Dialektik von Identität und Unterschied).

Im Gegensatz zu allen anderen bekannten Reinkarnationslehren wird hier nicht von einem Fortbestehen der Seele nach dem Tod und deren Übergang auf einen neuen Körper ausgegangen. Vielmehr soll jede Seele nach dem Tod völlig neu hervorgehen, sobald die dafür grundlegenden Bedingungen vorliegen. Gedanken dieser Richtung von Reinkarnationslehren findet man zum Beispiel bei Frank J. Tipler (USA) oder Rumen Bacharow (Deutschland).

Reinkarnationsforschung

Reinkarnationsforschung versteht sich als Parawissenschaft, die versucht, wissenschaftlich die Frage nach der Existenz von Reinkarnationen zu beantworten. Dazu werden Fälle untersucht, in denen Menschen behaupten, sich an frühere Leben zu erinnern. Die zugrundeliegende eigenständige Vorstellung von Reinkarnation unterscheidet sich dabei stark von hinduistischen und buddhistischen Konzepten, die meist keine Erinnerung an Vorleben vorsehen.

Literatur

* Aurobindo: Die Frage der Wiedergeburt, Mirapuri-Verlag, Gauting 1997, ISBN 3-922800-68-8
* Rumen Bacharow: Die Reinkarnation als logische Notwendigkeit. Osiris-Druck, Leipzig 2004, ISBN 3-9809165-4-5
* Emil Bock: Wiederholte Erdenleben. Die Wiederverkörperungsidee in der Deutschen Geistesgeschichte. Urachhaus, Stuttgart 1996 (zuerst 1932), ISBN 3-87838-027-5
* Alexander Gosztonyi: "Die Welt der Reinkarnationslehre". Windpferd Verlagsges. Mbh, 2. Auflage 1999, ISBN 978-3-89385-319-9
* Karl Hoheisel: Das frühe Christentum und die Seelenwanderung, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 27/28 (1984/85), S. 26-46
* Jürgen Pfestorf: Reinkarnation, Wiedergeburt und Auferstehung in den Evangelien. Nordhausen 2006 ISBN 3-88309-360-2
* Rüdiger Sachau: Westliche Reinkarnationsvorstellungen. Gütersloh 2002
* Leo Scheffczyk: Der Reinkarnationsgedanke in der altchristlichen Literatur. Bayerische Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte 1985 Heft 4. ISBN 3-7696-1537-9
* Karl Otto Schmidt: Alles Lebendige kehrt wieder. Das Rad von Tod und Wiedergeburt – Worte großer Denker. Drei Eichen Verlag, Hammelburg 2008, ISBN 978-3-7699-0586-1
* Perry Schmidt-Leukel (Hrsg.): Die Idee der Reinkarnation in Ost und West. Diederichs, München 1996, ISBN 3-424-01335-8
* Jan Erik Sigdell: Reinkarnation, Christentum und kirchliches Dogma. Wien 2001
* Ian Stevenson: "Reincarnation and Biology. A Contribution to the Etiology of Birthmarks and Birth Defects", 1997
* Brian L. Weiss: Die zahlreichen Leben der Seele, Goldmann Arkana, 2. Aufl. 2005, ISBN 978-3-442-21751-9
* Helmut Zander: Geschichte der Seelenwanderung in Europa. Alternative religiöse Traditionen von der Antike bis heute. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1999, ISBN 3-89678-140-5
* Ronald Zürrer: Reinkarnation. Einführung in die Wissenschaft der Seelenwanderung, Govinda-Verlag, Zürich 2005, ISBN 978-3-906347-61-5

Einzelnachweise

1. ↑ Origenes Kommentar zum Evangelium des Matthäus
2. ↑ Helmut Zander: Geschichte der Seelenwanderung in Europa, Darmstadt 1999, S. 11f
3. ↑ Von Shirley MacLaine heißt es unter http://www.geschi.de/glossar/geschi/Reinkarnation.html, sie habe dies in ihrem Buch Out on a Limb zitiert.

Quelle (auszugsweise): Wikipedia, 26.06.2008


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